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Es gibt tristere Orte, um die Corona-Krise in häuslicher Quarantäne zu fristen, einerseits: José Álvaro Osorio Balvín, besser bekannt als Pop-Sänger J Balvin, sitzt im Garten seines Hauses in Medellín. Kolumbiens zweitgrößte Stadt hat ein gemäßigtes Klima, das heißt: Es ist eigentlich immer Frühling und warm. "Capital de las Flores", Hauptstadt der Blumen, wird Medellín auch genannt, und viel sattes Grün kann man auch hinter dem 34-Jährigen sehen. Die einzige Blume aber, eine sehr große, sehr gelbe, prangt auf seinem Sweatshirt, es gehört zum Merchandising für sein soeben veröffentlichtes Album "Colores", auf dem jeder Song nach einer anderen Farbe benannt ist. "Die Idee war, der Welt mehr Leben, mehr Farbe zu geben in diesen Zeiten."
Machismo-Klischees scheinen ihm eher fremd zu sein
Denn einerseits ist ein Garten in Medellín kein so übler Ort, um Interviews mit der Presse zu führen, andererseits findet auch diese Begegnung, wie so viele dieser Tage, nur als Videochat zwischen Kolumbien und Berlin statt. Das Land im Norden Südamerikas hat seine Grenzen wegen der Corona-Pandemie geschlossen, die Bevölkerung wurde zunächst für drei Wochen aufgefordert, zu Hause zu bleiben.
Also auch J Balvin, der jetzt eigentlich in der ganzen Welt unterwegs wäre, um "Colores" zu bewerben, in TV-Shows zu sitzen und Konzerte zu geben. Stattdessen sitzt er an einem Tisch in seinem Garten und chattet, "von morgens um neun bis abends, den ganzen Tag", wie er sagt.
Seit der Kolumbianer 2017 mit dem aus Hip-Hop, Dancehall und Elektro-Pop fusionierten Reggaeton-Hit "Mi gente" ("Meine Leute") die US-Charts eroberte, wächst seine Popularität weltweit. Seine aktuelle Single "Blanco" ist seine 21. Nummer eins in der Latin-Sparte der Billboard-Charts, nur Enrique Iglesias hatte mehr. Bis jetzt.
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J Balvin
Foto: Kevin Winter/ Getty Images
Die YouTube-Abrufe seiner Videoclips brechen regelmäßig Rekorde. "Mi Gente" wurde bereits mehr als zwei Milliarden Mal angesehen, "Blanco", ein eher schnörkelloser Zwei-Minuten-Track aus dem typisch rumpfschwingenden Rhythmus, Beats und Rap, kommt nach wenigen Wochen bereits auf 170 Millionen. 37,5 Millionen Menschen folgen dem Sänger auf Instagram.
Mit seinen in den Latin-Kategorien gewonnenen Grammys kann er bald ein ganzes Regal füllen. Früher hörte er Nirvana und Grunge-Rock, dann erkor er den Rap-Mogul Jay-Z und Reggaeton-Pionier Daddy Yankee zu seinen Idolen.
Balvins Gesang ist entspannter und softer als bei seinen Genre-Kollegen, er pflegt das zuweilen grelle, aber gutmütige Image eines Latino-Sonnyboys und setzt sich öffentlich für die LBGT+-Gemeinde ein, Machismo-Klischees scheinen ihm eher fremd zu sein. Das kommt an: Neben Luis Fonsi ("Despacito"), dem Puerto-Ricaner Ozuna und der spanischen Sängerin Rosalía gehört er zu den beliebtesten und erfolgreichsten Stars der wachsenden Urbano-Popszene.
"Mein Land musste schon viel ertragen, aber am Ende stehen wir irgendwie doch immer alles durch."
J Balvin über seine Heimat Kolumbien
Balvin war der erste Latino-Headliner in der Geschichte des Lollapalooza-Festivals in den USA, er trat beim Coachella-Festival 2018 erst als Gast von Beyoncé auf, im folgenden Jahr war er selbst einer der Top-Acts. Im Januar hüpfte er für eine schnelle "Mi Gente"-Einlage auf die Bühne, als Jennifer Lopez und Shakira in der Halbzeitpause beim Superbowl ein Latino-Fest veranstalteten und der zweitgrößten US-Minderheit in den USA zuriefen: "Let’s get loud" – verschafft Euch Gehör!
J Balvin: Blanco
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Genau das ist J Balvins Mission. Er will der Latino-Kultur nicht nur in Amerika, sondern global in den Pop-Mainstream verhelfen, dafür setzt er sich gerne den ganzen Tag in den Garten und spricht in kleine Fenster auf einem Laptop-Bildschirm.
Gerade jetzt, da man zu Hause festsitzt, komme man viel zum Nachdenken darüber, wie oft man Dinge für selbstverständlich nimmt, sagt er, "aber das sind sie nicht". Die Konzerte vor Hunderttausenden, der Genres sprengende Mega-Hit "I Like It" mit Cardi B und Reggaeton-Kumpel Bad Bunny, Auftritte bei "Saturday Night Life" und Jimmy Fallon, eine eigene Mode-Kollektion - auf all das sei er sehr stolz, aber er wolle auch etwas zurückgeben.
Ein Superstar nach eigenen Maßstäben
Balvin, der in Kolumbien in privilegierten Verhältnissen aufwuchs, erlebte mit 17, als er Austauschschüler in Oklahoma City war, wie schwer es Latinos speziell in den USA haben. Oklahoma sei Redneck-Country, sagt er lächelnd, natürlich habe er es da mit Vorurteilen zu tun bekommen. "Aber ich war noch ein Kind, ich bin da gut durchgekommen." Er reiste weiter nach New York, wo er sich eine Weile ohne Arbeitserlaubnis mit Gelegenheitsjobs wie Hundeausführen durchschlug. "Ich versuchte Geld zu verdienen, um meinen Traum zu verwirklichen", sagt er. Der Traum, das war eine Karriere wie sein Vorbild Jay-Z.
J Balvin: Amarillo
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Inzwischen ist J Balvin ein Superstar nach eigenen Maßstäben. Sein Erfolg könnte sogar noch größer sein, weiß er - wenn er seine Songs nicht konsequent auf Spanisch, sondern auf Englisch singen würde. Aber Balvin will seine Musik und seine Kultur aus den Ghettos der Latin-Charts und -Genres emporheben, ohne sie dabei zu verraten. Auch aus diesem Grund ist er nicht in New York geblieben oder nach L.A. gezogen, sondern lebt in seiner alten Heimat Medellín, jener einst von Drogenkartellen und Gewalt gebeutelten Millionenstadt, die heute als eine der innovativsten Metropolen Südamerikas gilt.
Doch die Corona-Pandemie trifft auch Kolumbien hart. Sie ereilt den Staat inmitten schwelender Proteste gegen die neoliberale Regierung und einer humanitären Krise um Flüchtlinge aus dem wirtschaftlich maroden Nachbarland Venezuela. "Mein Land musste schon viel ertragen", sagt Balvin, "aber am Ende stehen wir irgendwie doch immer alles durch".
Zusammen mit dem japanischen Künstler Takashi Murakami, der auch das Coverbild von "Colores" schuf, hat Balvin jetzt Malbücher für Kinder im Stil seines Album-Artworks für die Organisation Families Belong Together anfertigen lassen. Die Bürgerrechts-Initiative hilft Familien, die durch die Migrationspolitik Donald Trumps voneinander getrennt wurden.
Vor nicht allzu langer Zeit, als er selbst an Depressionen und Burnout litt, hätten ihm solche bunten Malbücher und Meditation dabei geholfen, wieder Mut und Zuversicht zu fassen. Ist "Colores" nun der Versuch, diese Therapie auch an sein globales Publikum zu vermitteln? "Ja, absolut", sagt J Balvin grinsend in seinem grünen Garten, "100 Prozent!".
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels wurde die Zahl der YouTube-Aufrufe des "Mi Gente"-Videos mit über zwei Millionen angegeben, in Wahrheit sind es über zwei Milliarden.